Herausforderungen für die Schweizer Ernährungssicherheit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Im Frühjahr 2022 brach der Ukrainekrieg aus, und mit ihm stiegen die Preise für Weizen weltweit in die Höhe. In den Medien häuften sich Berichte über drohende Hungersnöte und die Verwundbarkeit globalisierter Nahrungsmittelketten. Selbst in einem Land wie der Schweiz, das für seine Stabilität und seinen Wohlstand bekannt ist, können globale Ereignisse plötzlich die Grundfeste erschüttern. Für die Schweiz, die einen beträchtlichen Teil ihres Nahrungsbedarfs aus dem Ausland deckt, war dies ein Weckruf: Wie sicher ist unsere Nahrungsversorgung?

Die aktuelle Versorgungslage in der Schweiz

Die Schweiz steht in Bezug auf ihre Versorgungslage vor erheblichen Herausforderungen. Der Selbstversorgungsgrad liegt derzeit bei etwa 55%. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der benötigten Nahrungsmittel importiert wird. Diese Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten birgt Risiken, insbesondere in Zeiten globaler Krisen. In den letzten zehn Jahren ist der Import von Nahrungsmitteln um 40% gestiegen, sodass die Schweiz mittlerweile 8 Millionen Tonnen Nahrungsmittel importiert.

Ein hoher Selbstversorgungsanteil ist vorteilhaft, da er die Unabhängigkeit von internationalen Märkten stärkt und die Versorgungssicherheit erhöht. Länder mit einem hohen Grad an Selbstversorgung können besser auf wirtschaftliche und politische Veränderungen reagieren. Solche Länder sind weniger anfällig für Preisschwankungen und Lieferengpässe, da sie weniger von Ausland abhängig sind. Die Schweiz hat jedoch Schwierigkeiten, diesen hohen Selbstversorgungsgrad zu erreichen.

Lebensmittelverschwendung und ihre Folgen

Herr Haldimann, stellvertretender Chefredaktor bei der Zeitung Schweizerbauer, weist auf die massive Lebensmittelverschwendung hin. Rund ein Drittel der produzierten Lebensmittel landet in der Tonne. Die Kontrolle der Verschwendung schätzt er als praktisch unmöglich ein. Als einzige Option sieht er die Preiserhöhung. “Man kann nicht kontrollieren, was das Volk zuhause macht”, sagt Herr Haldimann. Regulationen seien daher schwer durchzusetzen. Er betont, dass höhere Preise die Konsumenten möglicherweise dazu anregen könnten, bewusster mit Lebensmitteln umzugehen und Verschwendung zu reduzieren.

Klimatische Herausforderungen

Klimatologisch gesehen spielen die begrenzten landwirtschaftlichen Nutzflächen und der Klimawandel eine grosse Rolle. Veränderte Niederschlagsmuster, höhere Durchschnittstemperaturen und Extremwetterereignisse wie Dürren müssen jetzt bekämpft werden. Dies sind alles Faktoren, welche die Produktion und somit die Nahrungssicherheit einschränken. Der Bundesrat hat 2023 die “Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung” veröffentlicht. Diese Strategie soll die Treibhausgasemissionen reduzieren und die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an den Klimawandel stärken. Wesentliche Massnahmen umfassen die Förderung standortangepasster Produktion, die Reduktion von Foodwaste und die Verbesserung des Wassermanagements.

Die Rolle der Digitalisierung

Die Digitalisierung spielt eine enorme Rolle im Kampf gegen den Klimawandel, denn sie ermöglicht Präzisionslandwirtschaft. Es geht um technologische Möglichkeiten, welche die Effizienz und Präzision bei der Produktion erhöhen. Dies erfolgt durch eine grosse Menge an Daten, die aufgenommen werden. Die Analyse dieser Daten unterstützt dann bei Entscheidungen, z.B. Anbaumethoden zu optimieren. Die Präzisionslandwirtschaft kann aber auch kurzfristig die Effizienz des Ressourcenverbrauchs erhöhen. Dies geschieht z.B. durch Drohnen, die mit speziellen Sensoren ausgestattet sind. Diese können die Feuchtigkeit eines bestimmten Gebiets messen und dadurch bei der Entscheidung helfen, ob man dieses bewässern sollte oder nicht, womit grosse Mengen an Wasser gespart werden können. Wie Herr Haldimann erklärt, ist dies noch nicht Standard. Die Schweizer Landwirtschaft sei bezüglich der Digitalisierung noch in der Entwicklungsphase.

Bild 1: Präzisionslandwirtschaft am Beispiel von Drohnen
Bild 1: Präzisionslandwirtschaft am Beispiel von Drohnen

Historischer Rückblick

Die Schweiz hat bereits eine lange Geschichte geprägt von Nahrungunssicherheit hinter sich. Um die aktuelle Lage und Zukunft der Ernährungssicherheit in der Schweiz besser zu verstehen, muss man etwas Kontext haben.

Wir springen zurück ins Jahr 1845, als die Kartoffelfäule wie ein vernichtender Fluch über Europa hereinbrach. Die Schweiz, ein armes Land mit einer schwachen Landwirtschaft, stand plötzlich am Rande des Hungers und der Verzweiflung. Die Menschen litten unter dem Mangel an Nahrung, die Kinder weinten vor Hunger, und die Regierung stand ratlos da, unfähig, eine Lösung zu finden. Die Not war allgegenwärtig, und die Zukunft sah düster aus. Aus dieser Krise heraus entstand ein neuer Geist, ein neuer Wille, die Landwirtschaft zu verbessern. Die Regierung und die Landwirte begannen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Sie führten Versuche durch, um resistente Kartoffelsorten zu züchten, und entwickelten neue Anbaumethoden, um die Erträge zu steigern. Die ersten landwirtschaftlichen Genossenschaften wurden gegründet, um die Vermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu verbessern und die Abhängigkeit von importierten Lebensmitteln zu verringern. Es war ein langer, harter Weg, aber die Schweizer Bürger gaben nicht auf. Sie arbeiteten gemeinsam daran, ihre Landwirtschaft zu modernisieren und die Ernährungssicherheit zu verbessern.

Dann kam der Erste Weltkrieg, und die Ernährungssituation geriet erneut in Gefahr. Die Schweiz reagierte mit Rationierungen und der Förderung des Anbaus von Nahrungsmitteln im Inland. Es war ein Kampf ums Überleben, ein Kampf um genügend Nahrung für alle zu haben. Doch die Schweizer hielten durch, und ihre Landwirtschaft begann, sich zu erholen. Der Zweite Weltkrieg brachte neue Herausforderungen, aber auch neue Chancen. Die Schweiz startete das Anbauschlacht-Programm, auch bekannt als “Plan Wahlen”, um die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Es war ein Programm, das die Schweizer Landwirtschaft revolutionierte, die Produktion steigerte und die Ernährungssicherheit garantierte. Die Schweizer Regierung setzte alles daran, die Landwirtschaft zu stärken, um die Bevölkerung mit frischen Lebensmitteln zu versorgen. Die Bauern wurden aufgefordert, ihre Anbauflächen zu erweitern, um mehr Getreide, Kartoffeln und Gemüse anzubauen. Die Regierung unterstützte die Landwirte mit Subventionen, Beratung und Schulungen, um ihre Produktion zu steigern. Die Schweizer Bevölkerung wurde aufgerufen, ihre Gärten und Balkone für den Anbau von Gemüse und Obst zu nutzen. Es war ein gemeinsamer Einsatz, um die Nahrungsmittelversorgung zu sichern.

Gegenwärtige Herausforderungen und mögliche Lösungen

Durch ihren hohen Wohlstand ist die Schweiz heute gut gegen eine Hungesrnot abgesichert. Das grösste Problem ist, wie bereits betont, der geringe Selbstversorgungsgrad. Doch was kann dagegen getan werden?

Das grösste Problem in der Schweizer Landwirtschaft betrifft die pflanzlichen Lebensmittel. Derzeit werden nur magere 34% der pflanzlichen Lebensmittel, die in der Schweiz konsumiert werden, von einheimischen Landwirten produziert. Dies ist besorgniserregend, da der Import von pflanzlichen Lebensmitteln nicht nur kostenintensiv ist, sondern auch ökologische Nachteile mit sich bringt, wie der erhöhte CO2-Ausstoss. Auf der anderen Seite steht die Milchproduktion, die in der Schweiz sogar Überschüsse produziert. Diese Überschüsse tragen allerdings dazu bei, dass wertvolle landwirtschaftliche Flächen und Ressourcen, wie beispielsweise Futter für die Tiere, in grossem Umfang für die Milchproduktion genutzt werden.

Eine mögliche Lösung für dieses Ungleichgewicht wäre, die Milchproduktion zu reduzieren. Durch eine Reduzierung der Milchproduktion könnten landwirtschaftlichen Flächen und Ressourcen für den Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln umgenutzt werden. Dies hätte mehrere positive Effekte: Erstens würde Platz, der derzeit für die Tierhaltung benötigt wird, für den pflanzlichen Anbau frei werden. Zweitens würde der Bedarf an Futter für die Tiere sinken, was ebenfalls Flächen und Ressourcen für den Anbau von Pflanzen freisetzt.

Insgesamt könnte eine Verringerung der Milchproduktion zugunsten der pflanzlichen Produktion dazu beitragen, die Selbstversorgung der Schweiz mit pflanzlichen Lebensmitteln zu erhöhen. Dies wäre nicht nur ökologisch vorteilhaft, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, da weniger Lebensmittel importiert werden müssten.

Bild 2: Schweizer Selbstversorgungsgrad

Herausforderungen bei der Umsetzung

Herr Haldimann sieht das Problem bei der Umsetzung. Es wird produziert, was am Markt mit grossem Profit verkauft werden kann. Dies sind Produkte, welche in der Produktion sehr billig sind und trotzdem teuer verkauft werden können. Solange ein Landwirt mit der Milchproduktion Profit machen kann, hat dieser keinen Grund, andere Güter zu produzieren. Das Ersetzen von Familienbetrieben durch Grossbetriebe für erhöhte Effizienz kommt jedoch nicht infrage. “Die Familienbetriebe sind das A und O der Schweizer Landwirtschaft. Diese leisten billige Überstunden”, betont Herr Haldimann. Das Einsetzen von Grossbetrieben würde dies nicht mehr zulassen, die Überstunden müssten ausgezahlten werden und dadurch würde es sich nicht lohnen.

Zukünftige Perspektiven

Es lässt sich also sagen, dass die Schweiz derzeit eine gute Ernährungssicherheit aufweist, aber zukünftige Herausforderungen drohen. Die sinkende Agrarfläche pro Kopf steht im direkten Zusammenhang mit der wachsenden Bevölkerung. Dies führt zu einer verstärkten Abhängigkeit von Importen und einer erhöhten Vulnerabilität in internationalen Märkten. Trotzdem wird die Schweiz ausreichende Ernährungssicherheit bewahren können, solange mindestens die Hälfte der Nahrungsmittel im Inland produziert wird.

Die Schweiz ist im Fall der Weizenknappheit, die dem Ukrainekrieg zuzuschreiben sind, gut davongekommen. Um jedoch auf zukünftige Krisen besser vorbereitet zu sein, die möglicherweise in Bezug auf Nahrungsmittelknappheit schwerer ausfallen könnten, muss die Schweiz noch an der Selbstversorgung arbeiten.

Fazit

Die Schweiz steht vor bedeutenden Herausforderungen in Bezug auf ihre Ernährungssicherheit. Historisch gesehen hat das Land bereits viele Krisen überstanden und dabei wertvolle Lektionen gelernt. Heute gilt es, diese Lektionen anzuwenden und sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Die Förderung der Präzisionslandwirtschaft, die Reduktion von Lebensmittelverschwendung und die Anpassung an den Klimawandel sind wichtige Schritte in diese Richtung. Gleichzeitig muss die Schweiz einen Weg finden, ihre Abhängigkeit von Importen zu verringern und die Selbstversorgung zu erhöhen. Dies erfordert nicht nur technologische Innovationen und politische Massnahmen, sondern auch ein Umdenken in der Gesellschaft hinsichtlich des Umgangs mit Lebensmitteln. Die Zukunft der Ernährungssicherheit in der Schweiz hängt von der Fähigkeit ab, diese Herausforderungen zu meistern und gleichzeitig die Errungenschaften der Vergangenheit zu bewahren und auszubauen.